Ästhetik, Kunst, Literatur, Skeptizismen, Uncategorized

Zweifelszüngeln (1/2-heartedly deciphered)

Wir. Kunst. Wir.

Wir haben verstanden: Kunst ist nicht einmal das kleinere Übel (nur das abstraktere). Aber wir suchen Flucht im Museum. Wir sind Atheisten, weil wir um Gott wissen. Wir lächeln misanthropisch, seit unser Humor unter den Messern der heutig-ewigen Dystopie verblutet ist. Wir sind ehrlich ironisch. Wen wir mögen, den lieben wir auch: wir lieben und mögen viel, weil wir wenige, die Wenigen mögen und lieben. Uns ist kalt, da wir nur Fackeln sein können. Die Urnen sind voll von uns, doch wir gehen lebendig durchs Zombieland. Uns ist herbstlich zumute, wenn der Sommer uns einpfercht. Wir glauben nicht an die Schönheit der Blüten, und köpfen niemanden; haben keine Vasen. Unsere Archive sind leer: Kunst muss obdachlos sein, um Kunst zu bleiben, zu werden. Wir schlafen mit der Nacht statt während ihr. Wir kämpfen, rauchend, gegen die Geschwüre des Krebses (des Krebsens). Wir sind krebslos (unser Glaube), haben keine Scheren, kein Besteck, wir denken mit den Fingern: wir schreiben. Wir schreiben Bruch-Stücke.

Wir. Wir sind das salzige Krokant einer anderen Erde. Wir sind Poeten, ob ihr uns so nennen wollt oder nicht (auch, weil ihr uns nicht so nennen wollt). Wir sind über alle Ränder angefüllt mit Mangel: wir tragen an dieser Last nicht, wir fallen mit dem, was wir fallen lassen. Wir sind abgesägte Schienen, die glühen, wir sind verfahren, man verfährt sich mit uns. Wir sind aus gutem Grund; den kein Fundament betoniert. Wir horchen nicht, weil wir nicht ganz taub sind.

Wir. Wir sind restvoll rastlos. Wir setzen Punkte sarkastisch, hypotaktisch, wir sind zu bewegt fürs Setzen. Wir essen viel oder gar nicht, und beides; unsere Mitten sind extrem. Unsere Dichtung? Gespreizt. Unser Kern ist aufgesprungen, und springt nun umher, nicht konzentrisch – wir sind Ex-Zentriker. Wir sind zu sehr Literaten, um die Täuschung Wahrheit interessant zu finden (um zu finden. Wir sind zu interessant, keine Literaten zu sein. Wir –)

Kurz und böse: wir. Wir verlieren die Fäden nicht. Wir streifen sie von uns: wir ent-fesseln uns.

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Ethik, Inspirierendes, Pamphlete, Politik, Religion, Skeptizismen

Weiße Rosen. (Lesbare Denkmäler)

Sophie Scholl

„Nach einer längeren Debatte waren wir schließlich der übereinstimmenden Meinung, daß der christliche Mensch Gott mehr als dem Staate verpflichtet sei.“

Gestapo-Verhörprotokoll, 1943

„Beim Anblick der stillen Großartigkeit dieser Berge und ihrer Schönheit wollen einem die Gründe, die die Menschen für ihre unheilvollen Taten vorbringen, lächerlich und verrückt erscheinen, und man bekommt den Eindruck, sie wären gar nicht mehr Herr über sich und ihre Taten, sondern würden von einer bösen Macht getrieben. Denselben Eindruck hatte ich, wenn ich den großen Fabriksaal überblickte und die hundert Menschen an den Maschinen stehen sah, als gehorchten sie, selbst ahnungslos und unbewußt darunter leidend, einer Macht, die sie zwar selbst erschaffen, dann aber zu ihrem Tyrannen erhoben hatten.“

Brief an den Vater, 22. September 1942

„ (…) immer wieder schwankend, müder werdend, nicht mehr sein wollend, so daß ich mir nichts anderes wünsche als Nicht-Sein, oder als nur eine Ackerkrume zu sein, oder ein Stückchen einer Baumrinde. Aber schon dieser oft überwältigende Wunsch  ist wieder schlecht, denn er entspringt ja nur der Müdigkeit.“

Brief an Fritz Hartnagel, 22. Mai 1940

„Es ist der Kampf, den ich selbst führe, den Du auch haben wirst, nicht zurückzusinken ins Wohlbehagen, in Herdenwärme, ins Spießbürgertum.“

Brief an Fritz Hartnagel, 10. November 1940

„Ich wünsche Dir sehr, daß Du diesen Krieg und diese Zeit überstehst, ohne ihr Geschöpf zu werden. Wir haben alle unsere Maßstäbe in uns selbst, nur werden sie zu wenig gesucht. Vielleicht auch, weil es die härtesten Maßstäbe sind.“

Brief an Fritz Hartnagel, 16. Mai 1940

„Weiß ich denn, ob ich morgen früh noch lebe? Eine Bombe könnte uns heute nacht alle vernichten. Und dann würde meine Schuld nicht kleiner, als wenn ich mit der Erde und den Sternen zusammen untergehen würde. – Das weiß ich alles.“

Tagebucheintrag, 9. August 1942

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Hans Scholl

„Ich muß meinen Weg gehen und gehe ihn gerne. Denn es kommt mir ja nicht darauf an, vielen Gefahren und Verlockungen aus dem Weg zu gehen, sondern es soll mir wahrhaftig nur darauf ankommen, die Dinge richtig und in aller Ruhe richtig zu erkennen. Doch bis dahin werden noch viele Stürme über das Dach meines Hauses brausen und es erschüttern. Ich will indessen meine Lampe anzünden, und wenn sie auch flackert und auszulöschen droht, so wird doch ihr Licht rot und warm und manchem einsamen Wanderer ein Wegweiser sein.“

Brief an Rose Nägele, 8. August 1941

„Ihr glaubt vielleicht, man müßte weiser und reifer aus dem Kriege zurückkehren. Dies ist nur bei ganz wenigen Menschen der Fall. Ich glaube, ich war vor diesem Wahnsinn innerlicher und aufnahmebereiter. Der Krieg wirft uns weit zurück. Man glaubt es nicht, wie lächerlich der Mensch geworden ist. Wir verlassen den Operationssaal, drinnen stirbt einer, und wir rauchen eine Zigarette.“

Brief an Inge, 1. August 1940

„Unsere Kompanie wurde vom Kriegsgericht dem OKW der Meuterei wegen gemeldet. Es entwickelt sich in unseren Reihe ein Denunziantentum abscheulichster Art. (…) Ich hatte nicht erwartet, daß die Masse auf die geringsten Drohungen so reagiert. Aber ich habe vieles gelernt.“

Brief an die Eltern, 12. Februar 1941

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Christoph Probst

„Mein Leben war in der letzten Zeit recht doppelseitig, ich hatte einerseits unter einer geradezu beängstigenden wochenlangen Müdigkeitswelle zu leiden, so daß die wachen Stunden recht beschränkt waren. Dazwischen aber war ich recht tätig – medizinisch, russisch, lesenderweise, einkaufenderweise u.s.w. Es war dies geradezu notwendig, da mir in Mußestunden eine stille Verzweiflung ans Herz kroch. Aber eben eine „positive“ Verzweiflung, wenn man das sagen kann, denn sie erzeugte nicht Resignation, sondern Tätigkeit und Intensität.“

Brief an die Schwester Angelika, 4. Juli 1942 (95)

„Einmal muß das Menschliche hoch emporgehalten werden, dann wird es eines Tages wieder zum Durchbruch kommen. Wir müssen dieses Nein riskieren gegen eine Macht, die nicht nur alles Andersdenkende ausrotten will, die sich anmaßend über das Innerste und Heiligste des Menschen stellt. Wir müssen es tun um des Lebens willen, diese Verantwortung kann uns keiner abnehmen.“

1942, zit. n. Bernhard Knoop

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Willi Graf

„Schwer ist es, daß man solchen Problemen immer allein gegenüber steht, kein anderer Mensch kann einem die Last von den Schultern nehmen. Jeder einzelne trägt die ganze Verantwortung. Für uns aber ist die Pflicht, dem Zweifel zu begegnen und irgendwann eine eindeutige Richtung einzuschlagen. (…)“

Brief an Anneliese, 6. Juni 1942

„Hast du schon einmal gesehen und verglichen, daß für viele Menschen diese Probleme, die uns bewegen, so gar nicht erregend wirken? Es gibt zwar Unterschiede in dieser Stabilität: Die einen besitzen tatsächlich die Weisheit, die ihnen Ruhe bringt, die anderen aber finden es zu anstrengend, sich damit herumzuschlagen und geben sich mit kleinen Fortschritten in ihrem persönlichen Leben zufrieden. Oft kann man sich wünschen, doch zu diesen „Zufriedenen“ gezählt zu werden, es wäre doch so einfach. Aber wir finden diesen Weg nicht, wenn wir uns auch noch so unempfindlich machen.“

Brief an Anneliese 25. Juni 1942

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Alexander Schmorell

„Mein Haß gegen diese Menschen, und mit ihnen auch gegen dieses Land, wächst von Tag zu Tag. Wenn das so weiter geht, bin ich doch neugierig, wohin das kommen soll.“

Brief an Angelika Probst, 13.Juni 1937

„Sie sind froh und glücklich, wenn sie nach fremden Regeln leben dürfen, auf fremde Befehle gehorchen dürfen, um selber nicht denken zu brauchen, der Masse nachzugehen, folgend, ihrem Herdentrieb, um nicht zu irren.“ Die zweite, sehr viel kleinere Gruppe von Menschen nannte Alexander Schmorell die „Auserwählten,  (…) die es können, Neues uns Eigenartiges zu schaffen, die sich die Lebensregeln selbst zusammenstellen können und auch tapfer genug sind nach ihnen zu leben und die ganze Verantwortung auf sich zu nehmen.“

Brief an Angelika Probst, 1. Mai 1937, zit. n. Christiane Moll

„Denn nichts ist schöner, als die Freiheit des Gedankens und die Selbständigkeit des eigenen Willens, wenn man sie nicht fürchtet. Hier versucht man, uns sie zu rauben und sie uns vergessen zu machen oder sich von ihr zu trennen, aber das wird ihnen nicht gelingen.“

Brief an Angelika Probst, 1. Mai 1937

„Wie schön ist es dann, sich in ein solches Blütenmeer zu werfen, den dahin ziehenden Wolken nachzuschauen und von Vergangenheit und Zukunft träumen zu können. Aber solche Schönheiten verstehen die Menschen hier gar nicht; bei ihnen heißt es Tempo, Tempo, schuften, schuften, um einige Habseligkeiten zu erwerben, um nicht zuspät zu kommen. Ist das der Sinn des Lebens? Hier in Deutschland scheinbar schon, und deshalb hat hier das Leben auch keinen Sinn.“

Brief an Angelika Probst, 27. Juni 1937

„Was ich getan habe, habe ich nicht unbewußt getan, sondern ich habe sogar damit gerechnet, daß ich im Ermittlungsfalle mein Leben verlieren könnte. Über das alles habe ich mich einfach hinweggesetzt, weil mir meine innere Verpflichtung zum Handeln gegen den nationalsozialistischen Staat höher gestanden ist.“

Gestapo-Verhörprotokoll, 1943

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Ethik, Ironismus, Literatur, Politik, Skeptizismen

Der Störenfried

Wir gaben ihm Stellung und feuerten ihn an. Das hätten wir nicht von ihm gedacht! Er war immer der alle Zurückhaltende gewesen: der, der Dich am Ärmel fasste und leise fest sagte:

Jetzt ist aber mal gut. Lass „gut“ sein (– du verstehst es nicht). Vom vielen Verstehen bei Kerzenlicht waren seine Äuglein schlecht und wir ihm mächtig und böse geworden! Da nahm uns einer den Frack, – nein schlimmer! – die Uniform ab! Da hielt uns einer zum Besten – verständig; verglich uns mit selbigem (gegen sein eigenes Licht); – hielt uns nicht offen, daß unter der Uniform noch etwas sei!

Das ging uns zu weit!

Wir wurden still. Akzeptierten; gaben Hoffnung. Einer fing an, seine Buchtipps zu lesen.

Doch einmal, – doch, doch, doch. Uns war es ja klar gewesen; – da stand er umzingelt; irgendwie hatten wir’s geschafft. Da zählte kein vorher. – Der Oberst hatte abgezählt, in der Umkleide: wer los müsse. Der Schwächste, der Hänfling – ein gewaltiger Mitläufer –, sollte an die Front. Wir nahmen den friedlichen Störenfried bei seiner Ethik. Von ihm verlangten wir das Volontariat, zum Schutze des Hänflings.

Und laut fiel er leise an der Front. Wir glaubten ihm im Graben und klaubten plappernd (und lachend und rauchend) seine klappernden Knochen in den Feuerpausen auf.

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